Wenn jemand eine Reise tut, …

so kann er was erzählen. Das wusste schon der deutsche Dichter Matthias Claudius (1740 – 1815)

Am vergangenen Wochenende erreichte mich eine Mail mit vielen Bildern (das Copyright liegt selbstverständlich bei ihm) von einem Freund, der sich zur Zeit beruflich in Korea aufhält.
Für seinen deutschen Arbeitgeber besuchte er den „Luftkurort Mumbai“ (sarkastischer O-Ton) in Indien, um die wirtschaftlichen Möglichkeiten auszuloten, die der „Hidden Champion“ Indien bieten könnte. Die aktuellen Momentaufnahmen aus Mumbai wirken verstörend. Indien hat nun nicht zwingend mit Skandinavien zu tun, aber zum Einen zeigt sich hier ein brutaler Gegensatz zu den entwickelten Märkten und zum Anderen liefern viele skandinavische Unternehmen nach China und Indien oder lassen dort sogar produzieren. So ganz unpassend erscheint mir daher dieser Beitrag hier nicht. Und vielleicht regt er ja den Einen oder Anderen auch zum Nachdenken an.

Mein Freund schreibt: „Mit rund 20 Mio. Einwohnern zählt diese zu einer der bevölkerungsreichsten und wahrscheinlich auch dreckigsten Städte der Welt. Je näher man der Stadt kommt, desto mehr nimmt auch die Verschmutzung zu. Der Stadtrand ist übersät mit verwaisten Bauruinen.“
Die mitgeschickten Bilder sollte man eigentlich nur aus dem Geschichtsunterricht kennen, in dem vom Beginn des Industriezeitalters in England erzählt wird. War es früher „nur“ der Rauch aus der Kohleverbrennung in den Industriezentren, gibt es heute einen Mix aus Kohleverbrennung und Autoabgasen, in dem man die Sonne nur noch erahnen kann.

„Geschuldet ist diese Entwicklung unserem Konsum und unserer Gesellschaft mit dem unaufhörlichen Streben nach Wirtschaftswachstum, mehr Profit und Macht der Industrie, sowie immer billigeren Produktionsstandorten. Jeder will alles möglichst billig, schnell und einen Platz ganz vorne und oben, wo die Sonne scheint. Geiz ist eben immer noch geil!“, so seine treffende Analyse.
Weiter schreibt er: „Ich traue mich schon fast zu sagen, dass rund achtzig Prozent – wenn nicht sogar noch mehr – der Bevölkerung ohne jegliche Perspektive am Straßenrand im Dreck lebt, sich von den Abfällen anderer ernährt, unaufhaltsam vermehrt und einfach nur auf bessere Zeiten hofft. Jeder will ein Stück vom Kuchen.“ In den sogenannten Emerging Markets und auch in den Frontier Markets ist der Verteilungskampf längst im Gange und auch dort geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander – nur noch viel schneller als in den entwickelten Ländern.

Seiner Meinung nach können wir die Welt nicht mehr retten. Jeder scheint sich selbst der Nächste und die politischen und gesellschaftlichen Umstände in den Entwicklungsländern lassen gar keine andere Möglichkeit zu. „Wir können zwar zuhause Umweltschutz bis ans äußerste perfektionieren und betreiben, dies bringt aber relativ wenig, wenn andere Länder wie China und Indien ihren Wirtschaftsmotor gerade einmal angelassen haben. Abhalten können wir sie leider nicht davon, weiter zu machen wie es bisher läuft! Zu den zahlreichen Fahrzeugen auf den Straßen und der Schwerindustrie kommt noch hinzu, dass jeder seine eigene Müllverbrennung am Straßenrand betreibt und versucht der unaufhaltsamen Flut an Plastik und Müll Herr zu werden, um für sich selbst einen kleinen Lebensraum zu schaffen.“
Da es in Indien nie die Ein-Kind-Politik der Chinesen gab, dürfte Indien bald mehr Einwohner haben als China und damit zum bevölkerungsreichsten Land der Erde werden und mit „dem unaufhaltsamen Wachstum, Verbrauch von kostbaren Ressourcen und Umweltverschmutzung wird das in Zukunft ein Problem für uns alle.“

Hat man erst mal einen Vergleichsmaßstab, sieht man auch das eigene Land mit anderen Augen. „In Europa bzw. Deutschland leben wir auf einer Insel der Glückseeligen. Bedingt durch unsere geografische Lage und unser Klima haben wir die perfekten Lebensbedingungen. Wir haben reichlich Wälder und Natur, einen guten Klimawechsel, wir haben Wasser aus der Leitung, welches wir ohne jegliche Nachbehandlung bedenkenlos trinken können. Wir haben durch harte Arbeit über die letzten Jahrhunderte eine Infrastruktur und Wohlstand geschaffen, welche – wenn wir sie pflegen – uns alle Möglichkeiten bietet. Da weltweit der Lebensraum immer knapper wird und die Lebensbedingungen immer schwieriger werden, haben dies auch bereits andere Länder und Bevölkerungsgruppen erkannt. Wir haben einen großen Fleischtopf, den es zu verteilen gibt. Deutschland ist momentan noch ein relativ sicheres Land. Wir haben eine gute Work-Life Balance, ein Sozialsystem welches normalerweise jeden – wenn er dennoch durch einen Fehltritt im Leben nach unten fällt – auffängt, bevor er hart auf dem Boden aufschlägt. Zudem haben wir ein Gesundheitssystem, welches weltweit führend ist.“
Wir führen also ein Leben, um das uns alle Welt beneidet. Aber gilt deshalb „am deutschen Wesen soll die Welt genesen“? Natürlich nicht. Es wäre eine globale Aufgabe der Vereinten Nationen, sich um menschenwürdige Lebensbedingungen zu kümmern und Voraussetzung für ein gesundes Wachstum zu schaffen, das dem Ökosystem Erde noch Luft zum Atmen lässt. Die Nach-uns-die-Sintflut-Haltung gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Oder wollen wir in einer Welt leben, die so aussieht wie auf den Bildern zu sehen ist?

62 Menschen besitzen so viel wie die Hälfte der Weltbevölkerung

Weltweiter Einkommenszuwachs für jedes Zehntel der Weltbevölkerung in der Zeit von 1988 bis 2011: 46 Prozent des gesamten Zuwachses gingen an die obersten zehn Prozent.

Oxfam-Bericht belegt wachsende soziale Ungleichheit und fordert das Ende von Steueroasen
Weltwirtschaftsforum Davos

Soziale Ungleichheit nimmt weltweit dramatisch zu. Inzwischen besitzen die 62 reichsten Einzelpersonen – vor einem Jahr waren es noch 80 – genauso viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Dies geht aus dem Bericht „An Economy for the 1%“ hervor, den Oxfam im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos veröffentlicht. Die Entwicklungsorganisation fordert, das Geschäftsmodell der Steueroasen zu beenden und sehr hohe Vermögen stärker zu besteuern.

Weltweiter Einkommenszuwachs für jedes Zehntel der Weltbevölkerung in der Zeit von 1988 bis 2011: 46 Prozent des Das Gesamtvermögen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung verringerte sich in den vergangenen fünf Jahren um rund eine Billion US-Dollar, eine Abnahme um 41 Prozent, trotz eines Bevölkerungszuwachses von 400 Millionen Menschen. Gleichzeitig wuchs das Vermögen der reichsten 62 Personen um mehr als eine halbe Billion US-Dollar. Die Geschwindigkeit, mit der die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, ist dabei noch größer als erwartet: Vor einem Jahr prognostizierte Oxfam, im Jahr 2016 werde das reichste Prozent der Weltbevölkerung (70 Millionen Menschen) mehr besitzen als die restlichen 99 Prozent
(sieben Milliarden Menschen) zusammen. Tatsächlich wurde diese Schwelle bereits 2015 erreicht, ein Jahr früher als erwartet. Dem Bericht zufolge droht soziale Ungleichheit, die Fortschritte bei der Armutsbekämpfung zunichte zu machen.

Neun von zehn Großkonzernen haben Niederlassung in Steueroase

Ein Grund für diese Entwicklung ist die unzureichende Besteuerung von großen Vermögen und Kapitalgewinnen sowie die Verschiebung von Gewinnen in Steueroasen. Investitionen von Unternehmen in Steuerparadiesen haben sich zwischen 2000 und 2014 vervierfacht. Neun von zehn der weltweit führenden Großunternehmen haben Präsenzen in mindestens einer Steueroase. Entwicklungsländern gehen auf diese Weise jedes Jahr mindestens 100 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen verloren. Die Verschiebung von Vermögen in Steueroasen durch reiche Einzelpersonen kostet alleine die afrikanischen Staaten jährlich rund 14 Milliarden US-Dollar. Damit ließe sich in Afrika flächendeckend die Gesundheitsversorgung für Mütter und Kinder sicherstellen, was pro Jahr rund vier Millionen Kindern das Leben retten würde.

„Wir leben in einer Welt, deren Regeln für die Superreichen gemacht sind. Nötig ist dagegen ein Wirtschafts- und Finanzsystem, von dem alle profitieren. Konzerne dürfen sich nicht länger aus ihrer Verantwortung stehlen. Sie müssen ihre Gewinne dort versteuern, wo sie sie erwirtschaften. Die Politik muss die Anliegen der Bevölkerungsmehrheit über die Interessen der Superreichen stellen. Sie muss die Steueroasen trockenlegen“, fordert Tobias Hauschild, Referent für Entwicklungsfinanzierung bei Oxfam.

Maßnahmen für mehr Steuergerechtigkeit

Ein gerechtes internationales Steuersystem erfordert mindestens folgende Maßnahmen:

Unternehmen müssen zu einer öffentlichen länderbezogenen Berichterstattung über Gewinne und deren Versteuerung verpflichtet werden. So kann die Öffentlichkeit Steuerzahlungen von Konzernen überprüfen, die demokratische Rechenschaftspflicht würde gestärkt.
Der ruinöse Wettlauf um die niedrigsten Steuersätze muss ein Ende haben. Hierfür müssen Staaten ihre Steueranreize für Konzerne transparent machen.
Statt Konsum steuerlich stärker zu belasten, müssen große Vermögen, Kapitalgewinne und hohe Einkommen deutlich stärker besteuert werden.
Um die Interessen von Entwicklungsländern zu berücksichtigen, braucht es eine legitime zwischenstaatliche Steuerinstitution auf UN-Ebene, die alle Länder umfasst.

Weitere Informationen:
Oxfam-Bericht „An Economy for the 1%“: https://www.oxfam.de/economy-1-percent
Hintergrundpapier “Ein Wirtschaftssystem für die Superreichen”: https://www.oxfam.de/wirtschaftssystem-superreiche
Oxfam startet am Montag, 18.01.2016, eine Unterschriften-Aktion gegen Steueroasen unter https://act.oxfam.org/deutschland/steueroasen-trockenlegen

Oxfam ist eine internationale Nothilfe- und Entwicklungsorganisation, die weltweit Menschen mobilisiert, um Armut aus eigener Kraft zu überwinden. Dafür arbeiten im Oxfam-Verbund 17 Oxfam-Organisationen Seite an Seite mit rund 3.000 lokalen Partnern in mehr als 90 Ländern.esamten Zuwachses gingen an die obersten zehn Prozent.